Mit dem Diaspora-Portal möchten wir ein benutzerfreundliches Online-Angebot mit umfassenden Suchoptionen bereitstellen. Über verschiedene Textebenen, Quellenarten und Videocontent sollen Inhalte zur deutsch-jüdischen Geschichte außerhalb des deutschsprachigen Raums vermittelt werden. Die unterschiedlichen Darstellungsformen ermöglichen dabei mehrere Vertiefungsebenen. Das gesamte Portal ist modular aufgebaut, so dass sich die Besucher:innen von der Einführung in die Gesamtthematik aus durch die unterschiedlichen Länder klicken und ,lesen‘ können.
Unser Portal wird fortlaufend erweitert und geht zunächst mit einer kleinen Vorschau online. Bislang wurden mehr als 30 Überblickstexte zu einzelnen Ländern eingeworben, darunter für die deutsch-jüdische Geschichte weithin unbekannte Orte wie Curaçao, Sri Lanka oder Suriname. Sie waren häufig in koloniale Strukturen eingebunden und geben so gleichzeitig den Blick darauf frei, wie koloniale Strukturen von Jüdinnen und Juden im Kontext eigener Diskriminierungs- und Verfolgungserfahrungen bewertet wurden. Die Fallstudien – Quellen ebenso wie biografische Porträts – sind hier als Schlüsseldokumente zu verstehen, mit denen wir beispielhaft thematische Schlaglichter auf zentrale Aspekte der deutsch(sprachigen)-jüdischen Diaspora richten. Im Hintergrund sind außerdem weitere Texte zu historischen Personen und Quellen in Vorbereitung, die ebenfalls fortlaufend ergänzt werden.
Das Diaspora-Portal richtet sich an Studierende, Forschende und Lehrende, aber auch an Schüler:innen, interessierte Laien sowie nicht zuletzt an die Nachfahren der hier in den Blick genommenen deutschsprachigen Jüdinnen und Juden. Dem Thema einer deutsch-jüdischen Diaspora und ihren transnationalen Netzwerken entsprechend ist es aktuell mehrsprachig angelegt – aktuell auf Deutsch und Englisch. Um möglichst viele Besucher:innen zu erreichen, soll das Portal zukünftig möglichst auch auf Hebräisch und Spanisch verfügbar werden. Denn gerade die Nachfahren – viele von ihnen aus Südamerika – haben zwar häufig keine Zugänge mehr zur deutschen Sprache, sind jedoch mit den Erzählspuren der Vergangenheit ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern aufgewachsen. Auch ihnen möchten wir mit diesem Portal Zugänge zur Geschichte ihrer Vorfahren ermöglichen. Zudem können sie als Kenner:innen ihrer eigenen Familiengeschichte über die Kategorie Bring Your Own Story selbst zu Wort kommen.
So weiten wir unseren Kreis an Nutzer:innen über das regionale und nationale Zielpublikum hinaus aus und nutzen die grenzüberschreitenden Möglichkeiten von Online-Angeboten bestmöglich.
Mit dem Diaspora-Portal sprechen wir über das akademische Fachpublikum hinaus eine breitere interessierte Öffentlichkeit an. Neben einer enzyklopädischen Dichte an Zahlen und Details werden komplexe Zusammenhänge und Hintergründe verständlich vermittelt, übergreifende Fragestellungen und zentrale Aspekte reflektiert und Sachinformationen mit analytischer Interpretation verknüpft.
Das Diaspora-Portal eignet sich besonders für den Schulunterricht. Einerseits können die komplexen historischen, sozialen und politischen Gründe, die zur Entstehung einer deutsch(sprachigen)-jüdischen Diaspora geführt haben, am Beispiel von Einzelschicksalen durch Schüler:innen entschlüsselt werden. Gleichzeitig wird ein historisches Verstehen über die existenziellen Beschwerlichkeiten und Herausforderungen des Heimatverlusts und Neuanfangs ermöglicht.
Das Diaspora-Portal setzt sich aus insgesamt drei Textebenen sowie einer Sonderrubrik zusammen, die durch Querverbindungen in Form von Links miteinander in Beziehung gesetzt werden.
Überblickscharakter haben dabei als erste Gattung die sogenannten Länderstudien. Sie bilden die längsten Textbeiträge und sollen den notwendigen historischen Kontext vermitteln, um die Fallbeispiele besser einordnen zu können.
Eine zweite Ebene stellen die Biografien deutschsprachiger Jüdinnen und Juden in der Emigration dar. Eine dritte Ebene bilden Quellen, die als Schlüsseldokumente für eine Geschichte der deutsch-jüdischen Diaspora gelten können und mit Interpretationstexten präsentiert werden.
In einer Sonderrubrik – Bring Your Own Story – können zudem einzelne besondere Objekte mit einer persönlichen Geschichte verbunden werden.
Die geografischen Überblickstexte zu verschiedenen Durchgangs- und Zielländern deutschsprachiger Jüdinnen und Juden dienen der Einführung und sollen Forschungsfragen benennen. Wie in einem Handbuch werden Entwicklungslinien und zentrale Aspekte aufgezeigt. Dabei werden Sachinformationen mit einer analytischen Deutung der deutsch-jüdischen Diaspora verknüpft, die sich im jeweiligen Land möglicherweise herausgebildet hat. Die Länderstudien sind möglichst einheitlich entlang verschiedener Themenbereiche strukturiert und benennen die für die jüdische Geschichte jeweils relevanten nationalen Gegebenheiten vor und nach 1933.
Der Umfang der geografischen Überblickstexte variiert je nach Land und stellt verschiedene Varianten diasporischer Lebenswelten vor – von Zentren einer deutschsprachigen Diaspora bis hin zu Transitländern mit nur vorübergehender deutsch(sprachig)-jüdischer Präsenz. Die Länderstudien orientieren sich an thematischen Schwerpunktkategorien behandeln mithin mehrere Themen wiederkehrend, um eine möglichst einheitliche Textstruktur generieren und einen Vergleich zwischen den einzelnen Ländern ermöglichen zu können. Die äußerst vielfältige deutsch-jüdische Diaspora sollte dabei nicht allein auf nationalstaatlicher Ebene dargestellt, sondern auch einzelne Städte oder Viertel sowie die Peripherie beachtet werden. Dies ermöglicht, die Erfahrungsgeschichte deutschsprachiger Jüdinnen und Juden auch im Lokalen sichtbar zu machen.
Mögliche Themenfelder, entlang derer sich die Länderstudien lesen lassen, sind:
1. Alltag | 2. Institutionen | 3. Identität und Religiosität | 4. Geschlecht und Generation | 5. Transnationale Netzwerke | 6. Sprache | 7. Begegnungen | 8. Kultur- und Wissenstransfer | 9. Rückkehr | 10. Erbe und Erinnern
Mit ihren spezifischen Unterkategorien dienen die zehn Themenkategorien nicht als strikte Vorgabe, die in jeder Länderstudie bearbeitet wurden. Stattdessen haben die verantwortlichen Autor:innen die für das jeweilige Land relevanten Themen selbständig herausgegriffen und in ihren Überblickstexten erläutert.
Was in allen Länderstudien jedoch möglichst wiederkehrend behandelt wurde, sind die jeweilige Institutionalisierung der deutsch-jüdischen Diaspora etwa durch entsprechende Vereine oder Zeitschriften, die zu bewältigenden Herausforderungen im Alltag sowie die Begegnungen mit anderen Minderheitengruppen und der Mehrheitsgesellschaft. Hinzu kommen die Bedeutung von Erinnerung und Nostalgie für die Konstruktion einer gemeinsamen ,Diaspora-Identität‘ sowie die über das jeweilige Land hinausgehenden transnationalen Netzwerke bis hin zu Rückbezügen zur früheren Heimat. Durch diese relevanten Themenfelder lassen sich im geografischen Längsschnitt Parallelen und Unterschiede aufzeigen.
Neben den verschiedenen Zielorten werden historische Akteur:innen porträtiert, die den deutschsprachigen Raum verließen. Durch Einzel- oder Gruppenbiografien soll der deutsch-jüdischen Diaspora so gewissermaßen ein Gesicht gegeben und einer Entpersönlichung der Migrationsthematik entgegengetreten werden. Dabei ist nicht entscheidend, ob die Person bekannt ist. Neben ,prominenten‘ historischen Akteur:innen nehmen wir auch bisher unbekanntere Lebenswege in den Blick, wenn sie besondere Aspekte der deutschsprachigen jüdischen Diaspora in ihrer Bandbreite beleuchten.
Die Biografien vertiefen den Gesamtkontext der jeweiligen Länderstudien am Einzelbeispiel. Im Fokus dabei steht das Leben in der Diaspora. Ebenso finden sich viele Bezüge zu einer erhofften oder vorübergehenden sowie einer realen Rückkehr in das Herkunftsland. Gerade über solche Fallstudien wird deutlich, wie sich die hybriden, oft fragmentierten Zugehörigkeiten der Betroffenen herausbildeten und im Laufe des Lebens auch wandelten. In den Kurzbiografien kehren die thematischen Schwerpunkte der Länderstudien wieder und können exemplarisch beleuchtet werden.
Quellen, die wir als Text-, Bild-, Ton- oder audiovisuelle Dokumente – darunter Abbildungen dreidimensionaler Objekte – im Diaspora-Portal einbinden, dienen dazu, sogenannte Tiefenbohrungen vorzunehmen. Sie beleuchten einzelne Lebensabschnitte und Themenfelder. Jede Quelle (oder ein zusammenhängendes Konvolut) wird durch eine Beschreibung und Interpretation textlich aufbereitet, um sie in ihrem Entstehungs- und Gebrauchskontext zu verorten. Zur Quelleninterpretation gehört neben einer Transkription und Übersetzung ein digitales Faksimile. Wie in den Biografien sollen auch mit den Quellen und Interpretationstexten die Themenkategorien der Länderstudien am konkreten Beispiel vertieft werden.
Die Herkunft der Quellen variiert dabei: Sie stammen sowohl aus öffentlichen Archiven, Bibliotheken oder Museen wie auch aus privaten Sammlungen und Nachlässen. In einigen Fällen zeigen wir nur Auszüge aus einer Quelle – dann aber immer mit Verweis auf die Zugänglichkeit des gesamten Dokuments und (wo technisch möglich) auch mit entsprechender Verlinkung zu einer Gesamtversion.
Bei der Auswahl der Quellen haben wir uns an der Idee der sogenannten Schlüsseldokumente orientiert, die Miriam Rürup zusammen mit Anna Menny und Daniel Burckhardt im Rahmen der Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte entwickelt hat.
Als Schlüsseldokument wird dabei eine Quelle verstanden, die exemplarisch Einblicke in historische Zusammenhänge und Ereignisse gibt – gewissermaßen als ,Türöffner‘. Diese quellenbasierte Textebene bildet ein zentrales Element der Website.
Neben herkömmlichen Texten wollen wir sukzessive Menschen zu Wort kommen lassen, die selbst Teil der Geschichte sind. Über die Rubrik ,Bring Your Own Story‘ sollen ihre Lebenswege in der Diaspora anhand einzelner sogenannter Storytelling-Objekte erfahrbar gemacht werden. Sie umfassen Alltagsgegenstände, Briefe, Fotos oder Karten, aber auch angewandte Kunst oder besondere textile Objekte. Die verschiedenen Gegenstände verbinden dabei persönlich Erlebtes mit der Geschichte der deutsch-jüdischen Diaspora. Als einzigartige Erinnerungsträger, in denen sich oft mehrfache Migrationserfahrungen innerhalb einer Familie spiegeln, besitzen sie tiefe, generationenübergreifende Bedeutungen. In 10 bis 15-minütigen persönlichen Videos reflektieren unsere Gesprächspartner:innen ihre eigene Migrationsbiografie und die Rolle der deutsch-jüdischen Diaspora für ihre Familiengeschichte.