Jeanne und Arno Mandello

Sandra Nagel

Jean­ne Man­del­lo (1907–2001)
Ge­bo­ren am 18. Ok­to­ber 1907 in Frank­furt am Main, Deutsch­land
Ge­stor­ben am 17. De­zem­ber 2001 in Bar­ce­lo­na, Spa­ni­en
Tä­tig­keit: Fo­to­gra­fin
Mi­gra­ti­on: Frank­reich, 1934 | Uru­gu­ay, 1941 | Bra­si­li­en, 1953 | Spa­ni­en, 1959

Arno Grü­ne­baum (1905–1990) (Künst­ler­na­me: Arno Man­del­lo)
Ge­bo­ren am 9. Ok­to­ber 1905 in Fulda, Deutsch­land
Ge­stor­ben im Juli 1990 in Sa­len­to, Ita­li­en
Tä­tig­keit: Fo­to­graf, Maler, Han­dels­ver­tre­ter
Mi­gra­ti­on: Frank­reich, 1934 | Uru­gu­ay, 1941 | Frank­reich, ca. 1955 | Ita­li­en, ca. 1968

„Zwei re­nom­mier­te fran­zö­si­sche Fo­to­gra­fen ar­bei­ten mit ‚Mundo Uru­gu­ayo‘ zu­sam­men“  „Dos pres­ti­gio­sos fotógrafos fran­ce­ses co­la­bo­ran en ‘Mundo Uru­gu­ayo’”, in: El Mundo Uru­gu­ayo, Nr. 1257, 1943, S. 41 (alle Über­set­zun­gen von der Ver­fas­se­rin)., schrieb 1943 die uru­gu­ay­ische Zeit­schrift El Mundo Uru­gu­ayo. Ge­meint damit waren die bei­den in Deutsch­land ge­bo­re­nen, nun staa­ten­lo­sen, jü­di­schen Flücht­lin­ge Jean­ne und Arno Man­del­lo. Von An­fang 1934 bis Mitte 1941 hat­ten die Man­del­los in Frank­reich – bis zum Kriegs­aus­bruch in Paris – ge­lebt, wo sie als Fo­to­graf:innen tätig ge­we­sen waren. Doch war dies der ein­zi­ge Grund, warum sie sich in Uru­gu­ay als ,Fran­zo­sen‘ vor­stell­ten?

  • Sandra Nagel

Abb. 1: Jean­ne und Arno Man­del­lo in Mon­te­vi­deo, ca. 1948; Pri­vat­samm­lung Isa­bel Man­del­lo de Bauer.

Leben und Ausbildung in Deutschland bis 1933


Jean­ne Man­del­lo wuchs in Frank­furt am Main als Jo­han­na Man­del­lo in einer jü­di­schen Fa­mi­lie auf, in der die Re­li­gi­on kaum eine Rolle spiel­te. Man be­ging zwar die hohen jü­di­schen Fei­er­ta­ge, fei­er­te aber auch Weih­nach­ten. Die Fa­mi­lie war wie viele an­de­re deutsch-​jüdische Fa­mi­li­en des städ­ti­schen Bil­dungs­bür­ger­tums ak­kul­tu­riert. Man­del­los Vater lei­te­te ein Kauf­haus in der Stadt, die schon früh ver­stor­be­ne Mut­ter hatte sich um die mu­si­sche Aus­bil­dung der zwei Töch­ter be­müht. Man­del­lo be­such­te die Höhere-​Elisabethen-Mädchenschule, wo sie mal in den pro­tes­tan­ti­schen, mal in den jü­di­schen Re­li­gi­ons­un­ter­richt ging.

Nach ihrem Schul­ab­schluss setz­te sie durch, eine Aus­bil­dung zur Fo­to­gra­fin ma­chen zu dür­fen. Sie zog nach Ber­lin, wo sie an der re­nom­mier­ten Pho­to­gra­phi­schen Lehr­an­stalt des Lette-​Vereins, die seit 1890 Fo­to­gra­fie­kur­se für Frau­en anbot, an­ge­nom­men wurde und sich auch äu­ßer­lich an das Ideal der mo­der­nen ,Neuen Frau‘ an­pass­te.

Abb. 2: Por­trät Jo­han­na Man­del­lo, Foto Na­tha­lie von Reu­ter, 1930; Pri­vat­samm­lung Isa­bel Man­del­lo de Bauer.

Mit einer frü­he­ren Kom­mi­li­to­nin, Na­tha­lie von Reu­ter (1911–1990), er­öff­ne­te Man­del­lo nach einer Lehr­zeit in der Agen­tur Wolff & Trit­sch­ler und der be­stan­de­nen Ge­sel­len­prü­fung ein ei­ge­nes Fo­to­stu­dio in Frank­furt, was in der Wei­ma­rer Re­pu­blik eine zu­neh­mend häu­fi­ge Kon­stel­la­ti­on war: Man denke nur an Grete Sterns (1904–1999) und Ellen Au­er­bachs (1906–2004) Ber­li­ner Agen­tur ringl + pit.

Als Man­del­lo den 1905 in Fulda ge­bo­re­nen Han­dels­ver­tre­ter Arno Grü­ne­baum ken­nen­lern­te, wurde die­ser nicht nur ihr Part­ner und spä­te­rer Ehe­mann, son­dern sie bil­de­te ihn auch zum Fo­to­gra­fen aus. In spä­te­ren Jah­ren ar­bei­te­ten die bei­den teil­wei­se zu­sam­men, oder aber Grü­ne­baum be­schaff­te die Auf­trä­ge und Man­del­lo fo­to­gra­fier­te. Auch hier zeigt sich wie­der eine neue Form der Eman­zi­pa­ti­on, die vie­len jun­gen Frau­en aus bür­ger­li­chen Fa­mi­li­en der da­ma­li­gen Zeit of­fen­sicht­lich selbst­ver­ständ­lich war.

Man­del­lo er­wähn­te in zwei in den 1990er Jah­ren mit ihr ge­führ­ten In­ter­views Jean­ne Man­del­lo wurde 1994 von Su­san­ne Knö­ner für das Mu­se­um Folk­wang in­ter­viewt (die­ses In­ter­view be­fin­det sich in der Fo­to­gra­fi­schen Samm­lung des Mu­se­um Folk­wang in Essen) und 1997 von Mer­ce­des Val­di­vie­so für eine ihr ge­wid­me­te Aus­stel­lung in Bar­ce­lo­na (ab­ge­druckt im von Val­di­vie­so her­aus­ge­ge­be­nen Aus­stel­lungs­ka­ta­log Man­del­lo. Fotografías 1928–1997, Bar­ce­lo­na 1997). nie, dass sie jü­disch war. Dies schien in ihrem Um­feld keine Rolle ge­spielt zu haben. Und doch hei­ra­te­te sie den eben­falls aus einer jü­di­schen Fa­mi­lie stam­men­den Arno Grü­ne­baum oder hatte den Auf­trag, das konservativ-​jüdische Gum­pertz’sche Sie­chen­haus in Frank­furt ab­zu­lich­ten. Wenn Man­del­lo auch die Re­li­gi­on un­wich­tig war, so be­stand ihr so­zia­les und kul­tu­rel­les Um­feld – wie das vie­ler ,as­si­mi­lier­ter‘ Jü­din­nen und Juden in Deutsch­land – aus zahl­rei­chen jü­di­schen Freund:innen und Be­kann­ten.

Emigration nach Frankreich


Man­del­lo und ihr Mann ver­lie­ßen schon Ende 1933 Deutsch­land, um nach Paris zu zie­hen, da sie die von den Na­tio­nal­so­zia­list:innen aus­ge­hen­de Ge­fahr er­kannt hat­ten. Ers­tens sahen sie wohl, dass Jü­din­nen und Juden nun bei Auf­trags­ver­ga­ben ge­mie­den wur­den, wie es etwa dem Frank­fur­ter Schwestern-​Fotografinnen-Duo Nini (1884–1943) und Carry Hess (1889–1957) er­ging, denen das Frank­fur­ter Thea­ter schon 1933 einen Ver­trag aus ,ras­si­schen Grün­den‘ kün­dig­te. Zwei­tens be­rich­te­te Jean­ne Man­del­lo spä­ter, dass sie so­wohl von einem Be­kann­ten, dem SPD-​Abgeordneten Erik Nöl­ting (1892–1953), als auch von ihrem Onkel Ri­chard Se­lig­sohn (1874–?), der für eine in­ter­na­tio­na­le Schall­plat­ten­fir­ma ar­bei­te­te, ge­warnt wor­den war.

In Paris baute sich das Paar ein Fo­to­stu­dio auf und kon­zen­trier­te sich auf sein neues Leben. Man­del­lo er­in­ner­te sich spä­ter, dass es dort viele an­de­re deut­sche Emi­grant:innen ge­ge­ben hätte, sie es aber vor­zog, die Nähe zur ein­hei­mi­schen Be­völ­ke­rung zu su­chen. Ihre An­nä­he­rung an die fran­zö­si­sche Ge­sell­schaft spie­gel­te sich auch im Namen. So nann­te sich Man­del­lo, zu­min­dest in­of­fi­zi­ell, ,Jean­ne‘ statt ,Jo­han­na‘, wäh­rend ihr Ehe­mann als Künst­ler­na­men ihren Nach­na­men an­nahm. ,Man­del­lo‘ funk­tio­nier­te in der Tat in allen Spra­chen und hatte dar­über hin­aus, im Ge­gen­satz zu ,Grü­ne­baum‘, keine jü­di­sche Kon­no­ta­ti­on. Ob dies eine be­wuss­te oder un­be­wuss­te Über­le­bens­stra­te­gie war, muss of­fen­blei­ben. Beide woll­ten wohl nicht auf ihre jü­di­sche Ab­stam­mung re­du­ziert wer­den, son­dern frei und selbst­be­stimmt leben.

In Paris, das in den 1930er Jah­ren zu einem Zen­trum des deutsch­spra­chi­gen künst­le­ri­schen und po­li­ti­schen Exils wurde, ver­kehr­ten die Man­del­los in meh­re­ren, sich teil­wei­se über­lap­pen­den Krei­sen: So hatte Jean­ne Man­del­lo fran­zö­si­sche Be­kann­te aus der Mo­de­bran­che, aber pfleg­te auch Freund­schaf­ten mit deut­schen Jü­din­nen und Juden wie dem Münch­ner Fo­to­gra­fen Her­mann Lands­hoff (1905–1986). Sie schuf sich so ein Netz­werk der ge­gen­sei­ti­gen Un­ter­stüt­zung und So­li­da­ri­tät. Über Kon­tak­te ihres On­kels Ri­chard Se­lig­sohn bekam das Paar erste Auf­trä­ge und mach­te sich einen ge­wis­sen Namen in der Mo­de­bran­che, bis zu Auf­trä­gen für das Pa­ri­ser Mo­de­un­ter­neh­men Ba­len­cia­ga in der re­nom­mier­ten Mo­de­zeit­schrift Vogue.

Frankreich: Das Netz zieht sich zu


Die Kriegs­jah­re müs­sen de­mü­ti­gend und zu­tiefst ent­täu­schend für die Man­del­los ge­we­sen sein. Als deut­scher Staats­an­ge­hö­ri­ger wurde Arno Man­del­lo nach Kriegs­aus­bruch im Sep­tem­ber 1939 als ,feind­li­cher Aus­län­der‘ in­ter­niert, konn­te sich aber bei der Frem­den­le­gi­on ver­pflich­ten und ver­brach­te ei­ni­ge Mo­na­te in Al­ge­ri­en. Die fran­zö­si­schen Streit­kräf­te nah­men ihn nicht auf. Man­del­lo stell­te die Si­tua­ti­on spä­ter so dar, als habe ihr Mann sich frei­wil­lig bei der Armee ver­pflich­tet und als hät­ten beide dar­auf­hin die fran­zö­si­sche Staats­bür­ger­schaft er­wor­ben. Tat­säch­lich wurde ihnen im Ok­to­ber 1940 die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit vom NS-​Regime ab­erkannt und sie waren staa­ten­los.

Jean­ne Man­del­lo blieb zu­erst in Paris und wurde im Mai 1940, wie zahl­rei­che an­de­re deutsch­stäm­mi­ge Frau­en, dar­un­ter die Phi­lo­so­phin Han­nah Are­ndt (1906–1975), im fran­zö­si­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Gurs in Süd­west­frank­reich in­ter­niert. Ver­mut­lich wurde sie wie viele der ,Mai-​Frauen‘ im Juni 1940 nach dem Waf­fen­still­stand be­freit.

Abb. 3: Jo­han­na Man­del­los (Jo­han­na Grü­ne­baums) fran­zö­si­sches Ausweis-​ und Rei­se­do­ku­ment für „Flücht­lin­ge aus Deutsch­land“ („réfugiés pro­venant d’Al­le­ma­gne“), 1938; Pri­vat­samm­lung Isa­bel Man­del­lo de Bauer.

Kurz dar­auf konn­te Man­del­lo über das Rote Kreuz Kon­takt zu ihrem Mann auf­neh­men, der nach dem deutsch-​französischen Waf­fen­still­stand de­mo­bi­li­siert wurde und sich zu ihr in ein Dorf in Süd­west­frank­reich begab, wo sich das Ehe­paar mit Ge­le­gen­heits­ar­bei­ten bei lo­ka­len Bau­ern und Un­ter­neh­mern über Was­ser hielt und sich um Aus­rei­se­pa­pie­re be­müh­te. Nach Paris konn­ten sie nicht mehr zu­rück, und tat­säch­lich wurde ihr dor­ti­ges Fo­to­stu­dio im Ja­nu­ar 1942 ver­sie­gelt, von den deut­schen Be­sat­zern leer­ge­räumt und ,ari­siert‘. Wie sich Arno Man­del­lo in die­ser Zeit fühl­te, geht aus sei­nen per­sön­li­chen Auf­zeich­nun­gen her­vor. So be­schrieb er sich selbst als ,Paria‘, ein Aus­ge­sto­ße­ner, der Bit­ter­nis­se und Ent­täu­schun­gen er­lebt hatte und den­noch dank­bar und hoff­nungs­voll blei­ben woll­te. In sei­nem Ta­ge­buch hielt Man­del­lo, der nicht re­li­gi­ös lebte, 1941 fest: „Ich muss an das Ver­gan­ge­ne den­ken, an mein El­tern­haus, den Groß­va­ter, der so star­ken Glau­bens war. Ich Zweif­ler, der mit Ver­nunf­tes­grün­den (sic) alles zu er­klä­ren sucht, es be­ginnt sich in mir eine Stim­me zu regen, wie schwer mir das fällt zu hören und lau­schen, die spricht, glau­be an das Gute! Wie glück­lich, glau­ben zu kön­nen.“  Per­sön­li­che Er­in­ne­run­gen von Arno Grü­ne­baum, ver­schie­de­ne Daten, (hier Mai 1941), ohne Sei­ten­zah­len, Pri­vat­samm­lung Man­del­lo de Bauer.

Wie­der ein­mal über den Onkel Se­lig­sohn, der schon in Ar­gen­ti­ni­en lebte, er­hiel­ten sie Visa für die Ein­rei­se nach Uru­gu­ay. Im Som­mer 1941 konn­ten die Man­del­los schließ­lich Frank­reich ver­las­sen und bra­chen nach Süd­ame­ri­ka auf. Auch ihr Vater soll­te das Land etwas spä­ter er­rei­chen; ihre Schwes­ter war be­reits 1939 über Mon­te­vi­deo nach Ar­gen­ti­ni­en emi­griert.

Neubeginn in Uruguay: Diskrete Mitglieder der deutsch-jüdischen Diaspora


Uru­gu­ay stand ab 1942 auf der Seite der Al­li­ier­ten, hatte je­doch schon davor als tra­di­tio­nel­les Ein­wan­de­rungs­land eu­ro­päi­sche Emi­grant:innen auf­ge­nom­men. Schät­zun­gen zu­fol­ge fan­den zwi­schen 1933 und 1945 rund 7.000 bis 10.000 deutsch­spra­chi­ge Jü­din­nen und Juden dort Zu­flucht. Wie die meis­ten lie­ßen sich auch die Man­del­los in der Haupt­stadt Mon­te­vi­deo nie­der, wo sie wie­der als Fo­to­graf:innen tätig wur­den, sich einen Namen mach­ten und mit zahl­rei­chen Ver­tre­ter:innen der Kultur-​ und Kunst­sze­ne be­kannt wur­den. So por­trä­tier­te Jean­ne Man­del­lo den Maler Joaquín Tor­res García (1874–1949), den Schrift­stel­ler Jules Su­per­vi­el­le (1884–1960) sowie die Dich­ter Ra­fa­el Al­ber­ti (1902–1999) und María Te­re­sa León (1903–1988). Dar­über hin­aus do­ku­men­tier­te sie zahl­rei­che Bau­ten uru­gu­ay­ischer Ar­chi­tek­ten, die sich an die mo­der­ne Ar­chi­tek­tur des Bau­haus an­lehn­ten.

Die Man­del­los stell­ten sich, zu­min­dest öf­fent­lich, als ,Fran­zo­sen‘ vor und such­ten die Nähe der fran­zö­si­schen Im­mi­grant:innen. Jean­ne Man­del­lo be­rich­te­te, dass sie gleich nach der An­kunft Fran­zö­sisch­un­ter­richt geben woll­te und als Fo­to­gra­fin für das fran­zö­si­sche Gym­na­si­um in Mon­te­vi­deo ar­bei­te­te.

Abb. 4: Bro­schü­re des fran­zö­si­schen Gym­na­si­ums (Lycée français) in Mon­te­vi­deo mit Fotos von Jean­ne Man­del­lo, 1947; Pri­vat­samm­lung.

Gleich­zei­tig baute das Ehe­paar gute Kon­tak­te, viel­leicht sogar Freund­schaf­ten, zu an­de­ren deutsch-​jüdischen Exi­lant:innen auf. In sei­ner Au­to­bio­gra­fie er­wähn­te der eben­falls nach Uru­gu­ay ge­flo­he­ne Jour­na­list, Kri­ti­ker und Lek­tor J. Hell­mut Freund (1919–2004), wie er die Man­del­los der an­ge­se­he­nen uru­gu­ay­ischen Kunst­mä­ze­nin Susa­na Soca (1906–1959) vor­stell­te. Freund zu­fol­ge war es nicht schwer, das Fo­to­graf:in­nen­ehe­paar, das ein ei­ge­nes Stu­dio in Paris ge­führt hatte, mit Soca und an­de­ren nam­haf­ten Per­so­nen in Mon­te­vi­deo zu­sam­men­zu­brin­gen.

Freund lie­fert einen wei­te­ren Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis dafür, warum sich die Man­del­los in Uru­gu­ay – über­wie­gend – als Fran­zö­sin und Fran­zo­se aus­ga­ben. So seien neben spa­ni­schen vor allem fran­zö­si­sche Schau­spie­ler:innen in Mon­te­vi­deo be­grüßt und ver­ehrt wor­den, wobei man hier si­cher­lich eine Ana­lo­gie zwi­schen Schau­spie­ler:innen und Künst­ler:innen all­ge­mein her­stel­len kann.

Freund, der in Ber­lin auf­ge­wach­sen und 1939 mit sei­nen El­tern nach Uru­gu­ay ge­flo­hen war, war bes­tens mit der deutsch-​jüdischen Com­mu­ni­ty Mon­te­vi­deos ver­knüpft. Es gab dort seit 1934 einen Hilfs­ver­ein für deutsch­spre­chen­de Juden und ab 1936 die deutsch-​jüdische Nueva Congregación Is­rae­li­ta de Mon­te­vi­deo, die ein wö­chent­li­ches Ge­mein­de­blatt her­aus­gab, das ab 1941 von Freunds Vater Georg Freund (1881–1971) ge­lei­tet wurde.

Wäh­rend Jean­ne Man­del­lo spä­ter nicht über ihre (deutsch-​jüdische) Zu­ge­hö­rig­keit sprach, schil­der­te Freund seine neue, hy­bri­de Iden­ti­tät fol­gen­der­ma­ßen: „Meine Exis­tenz in Mon­te­vi­deo war zwei­stim­mig: Da waren die Schick­sals­ge­nos­sen, man­che unter ihnen mehr Emi­gran­ten als Im­mi­gran­ten. Man ver­kehr­te mit­ein­an­der. [] Ver­gan­gen­heit ab­strei­fen, Her­kunft leug­nen, die deut­sche, die jü­di­sche, die deutsch-​jüdische, konn­te ich nicht. In den uru­gu­ay­ischen All­tag ein­zu­tre­ten, sich zu ver­stän­di­gen, also mög­lichst ge­läu­fig das Spa­nisch des Río de la Plata zu spre­chen, war not­wen­dig und selbst­ver­ständ­lich.“ J. Hell­mut Freund, Vor dem Zi­tro­nen­baum. Au­to­bio­gra­fi­sche Ab­schwei­fun­gen eines Zu­rück­ge­kehr­ten, Frank­furt a. M. 2005, S. 336.

Auch Man­del­lo lern­te Spa­nisch, doch im All­tags­le­ben, „ein­fach so“, wie sie spä­ter be­rich­te­te, und nie gram­ma­ti­ka­lisch ganz ein­wand­frei. Die Her­kunft schien sie weit­ge­hend ab­ge­streift zu haben. Und den­noch gibt es Hin­wei­se auf einen Rück­zug auf deutsch-​jüdische Kon­tak­te in Mon­te­vi­deo, die als eine Art Si­cher­heits­netz fun­gier­ten, mit dem man je­doch nicht an die Öf­fent­lich­keit ging. Jean­ne und Arno Man­del­lo er­hiel­ten 1949 die uru­gu­ay­ische Staats­an­ge­hö­rig­keit, die sie bis an ihr Le­bens­en­de be­hiel­ten. Einen deut­schen Pass be­an­trag­ten sie – an­ders als ei­ni­ge an­de­re Jü­din­nen und Juden in Uru­gu­ay – nicht.

Abb. 5: “Dos pres­ti­gio­sos fotógrafos fran­ce­ses co­la­bo­ran en ‘Mundo Uru­gu­ayo’”, in: Mundo Uru­gu­ayo, Nr. 1257, 1943, S. 41; Pri­vat­samm­lung Isa­bel Man­del­lo de Bauer.

Trennung und separate Rückkehr nach Europa


Das Ehe­paar Man­del­lo trenn­te sich An­fang der 1950er Jahre, blieb je­doch freund­schaft­lich ver­bun­den. Jean­ne Man­del­lo hei­ra­te­te in zwei­ter Ehe den nach Bra­si­li­en ge­flo­he­nen jü­di­schen Jour­na­lis­ten Lo­thar Bauer (1905–1968), den sie aus Frank­furt kann­te. Sie hatte ihn in Rio de Ja­nei­ro wie­der ge­trof­fen, als die Man­del­los 1952 dort eine Aus­stel­lung im Mu­se­um der mo­der­nen Kunst hat­ten. Als Bauer Ende der 1950er Jahre für die Frank­fur­ter Zei­tung in Deutsch­land ar­bei­ten soll­te, woll­te Man­del­lo nur eines: schnell wie­der weg. In einem In­ter­view von 1997 er­in­ner­te sie sich an diese Zeit: „In Frank­furt war ich sehr un­glück­lich []. Es reg­ne­te die ganze Zeit, alles war so trau­rig und er­schien mir schreck­lich. Manch­mal ging ich in den bo­ta­ni­schen Gar­ten. Dort gab es Ge­wächs­häu­ser mit tro­pi­schen Pal­men und ich saß dort – we­nigs­tens war es warm und feucht und das ge­fiel mir – und ich fühl­te mich wohl und wein­te“.  In­ter­view Val­di­vie­so 1997, S. 18.

Ihren Auf­ent­halt in Deutsch­land nutz­te sie je­doch, um 1958 einen An­trag auf Ent­schä­di­gung beim Land Hes­sen zu stel­len. Wie an­de­re deut­sche Jü­din­nen und Juden, die die Schoa über­lebt hat­ten, be­an­trag­te sie wahr­schein­lich eine ,Wie­der­gut­ma­chung‘ für die Zer­stö­rung ihres El­tern­hau­ses wäh­rend des Kriegs und damit aller fo­to­gra­fi­schen Ar­bei­ten aus ihren deut­schen Jah­ren.

1959 konn­te Lo­thar Bauer sich nach Spa­ni­en ver­set­zen las­sen, wo Man­del­lo bis zu ihrem Tod 2001 lebte und als Fo­to­gra­fin ar­bei­te­te. Erst als das Mu­se­um Folk­wang in Essen sie für die bahn­bre­chen­de Aus­stel­lung Fo­to­gra­fie­ren hieß teil­neh­men. Fo­to­gra­fin­nen der Wei­ma­rer Re­pu­blik im Jahre 1994 kon­tak­tier­te, trat sie wie­der in Kon­takt mit Deutsch­land und ihrem ei­ge­nen Deutsch-​Sein. Man­del­lo reis­te zur Aus­stel­lung und war glück­lich, dort an­de­re Fo­to­gra­fin­nen ken­nen­zu­ler­nen, die einen ähn­li­chen Le­bens­weg wie sie hat­ten, so zum Bei­spiel die in die Schweiz emi­grier­te Fo­to­gra­fin und Kunst­händ­le­rin Ma­ri­an­ne Bres­lau­er (1909–2001).

Arno Man­del­lo kehr­te 1955 nach Frank­reich zu­rück. Zu­sam­men mit der eng­li­schen Künst­le­rin Helen Ash­bee (1915–1996) zog er Ende der 1960er Jahre nach Apu­li­en auf einen Bau­ern­hof, wo er wei­ter­hin künst­le­risch tätig war. 1966 wur­den seine Fo­to­gram­me und -​collagen, die er auch ,Light scapes‘ nann­te, in der Kunst­hal­le Düs­sel­dorf aus­ge­stellt.

Im Ge­gen­satz zu Jean­ne Man­del­lo zog es ihn am Ende sei­nes Le­bens, als er schwer krank im Ster­ben lag, wie­der zu sei­nen jü­di­schen Wur­zeln zu­rück. So schil­der­ten Freun­de, dass sie ei­gens einen Rab­bi­ner aus Rom an sein Kran­ken­bett kom­men lie­ßen. Arno Man­del­lo war schon seit Tagen nicht mehr an­sprech­bar, re­agier­te je­doch plötz­lich auf die jid­di­sche An­spra­che des Rab­bi­ners. Er ant­wor­te­te, eben­falls auf Jid­disch, be­te­te und sang mit dem Ge­lehr­ten. Ei­ni­ge Tage spä­ter soll Man­del­lo fried­lich ver­stor­ben sein.

Heute lebt das künst­le­ri­sche Werk von Jean­ne und Arno Man­del­lo, die wäh­rend des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus wegen ihrer jü­di­schen Her­kunft ge­zwun­gen waren, zwi­schen Län­dern, Kon­ti­nen­ten und Spra­chen zu jon­glie­ren, in Samm­lun­gen und Wech­sel­aus­stel­lun­gen fort. Ihre viel­schich­ti­ge Iden­ti­tät ent­zieht sich dabei einer ein­deu­ti­gen De­fi­ni­ti­on. Zu­min­dest in Frank­reich und in Uru­gu­ay stan­den sie je­doch mit einem Fuß auch in der deutsch-​jüdischen Dia­spo­ra.

Auswahlbibliografie


Muriel de Bastier, „Jeanne Mandello de Bauer – oder das verlorene Vermächtnis einer Fotografin“, in: Anne Grynberg/Johanna Linsler (Hg.), L’irréparable: Itinéraires d’artistes et d’amateurs d’art juifs, réfugiés du „Troisième Reich“ en France = Irreparabel. Lebenswege jüdischer Künstlerinnen, Künstler und Kunstkenner auf der Flucht aus dem „Dritten Reich“ in Frankreich, Magdeburg 2013, S. 332-348.
J. Hellmut Freund, Vor dem Zitronenbaum. Autobiographische Abschweifungen eines Zurückgekehrten, Frankfurt a. M. 2005.
Sandra Nagel/Carlos Porro, Jeanne Mandello. Imágenes de una fotógrafa exiliada, Ausstellungskatalog, Montevideo 2012.
Sandra Nagel/James Bauer, Jeanne Mandello. Die Welt im Blick. Perspektiven einer Deutsch-jüdischen Fotografin im Exil, 1928–1996, Salzburg 2016. Jeanne_Mandello_cat_Fotohof_kern.pdf - Google Drive
Mercedes Valdivieso/Ute Eskildsen, Mandello. Fotografías 1928–1997, Ausstellungskatalog, Barcelona 1997, mit von Mercedes Valdivieso transkribiertem Interview von Jeanne Mandello.
Sonja Wegner, Zuflucht in einem fremden Land. Exil in Uruguay 1933–1945, Hamburg 2013.

Weiterführende Inhalte


Web­sei­te über Jean­ne Man­del­lo, Re­dak­ti­on: San­dra Nagel: http://jean­ne­man­del­lo.com/

In­ter­view mit Jean­ne Man­del­lo, durch­ge­führt von Su­san­ne Knö­ner, für das Mu­se­um Folk­wang, Essen, 1994. Fo­to­gra­fi­sche Samm­lung des Mu­se­um Folk­wang.

Per­sön­li­che Samm­lung Fa­mi­lie Man­del­lo de Bauer, dar­un­ter per­sön­li­che Er­in­ne­run­gen von Arno Grü­ne­baum (ver­schie­de­ne Daten, ohne Sei­ten­zah­len) und Aus­weis­pa­pie­re von Jean­ne Man­del­lo.

Ar­ti­kel über Jean­ne Man­del­lo, er­stellt von Ma­ri­on Be­ckers für das Ver­bor­ge­ne Mu­se­um: https://www.das­ver­bor­ge­ne­mu­se­um.de/kuenst­le­rin­nen/mandello-​jeanne

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Zur Autorin

Sandra Nagel ist Gymnasiallehrerin in Deutsch und Geschichte in Paris sowie freiberufliche Kuratorin und Forscherin (https://pastnotpast.com/), unter anderem für das Imperial War Museum, das Mémorial de la Shoah und das französische Kulturnetzwerk im Ausland. Ihre Forschungsschwerpunkte bilden der Holocaust allgemein, deutsch-jüdisches Exil und Internierungen in Frankreich, besonders im Lager Les Milles, und die Rehabilitation vergessener Künstler:innen wie etwa Jeanne Mandello. Zuletzt erschienen von ihr sind die Beiträge „Curatorship and Gender Exhibition design“ in Routledge Companion to Global Photographies, London 2024 sowie „Ilse Salberg – creating ‘order’ in times of chaos“ in Enunciación visual, Universidad de Palermo Buenos Aires 2025.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Sandra Nagel, Jeanne und Arno Mandello, in: Geschichte[n] der deutsch-jüdischen Diaspora, 08.05.2025. <https://diaspora.juedische-geschichte-online.net/beitrag/gjd:article-7> [09.06.2025].

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