Objekte der Erinnerung: Das Rosenthal-Kaffeeservice der Familie Heyd(t)

Felix Römer

Quellenbeschreibung

Das Foto zeigt eine Porzellantasse der bekannten deutschen Traditionsmarke Rosenthal, die seit dem späten 19. Jahrhundert für ihre hochwertigen Porzellan-, Glas- und Keramikprodukte bekannt ist. Auf dem Bild steht die Tasse auf dem Esstisch in der Jerusalemer Wohnung von David Heyd (*1945), einem emeritierten Philosophie-Professor der Hebrew University. Heyd zählt zur zweiten Generation von Überlebenden der Schoa in Israel. Sein Vater Hans Heydt (1913–1968) war bei seiner Emigration aus NS-Deutschland im Frühjahr 1934 von seinem Heimatort Köln über Italien nach Jerusalem gelangt. Dorthin folgten ihm später auch seine Mutter Bertha Heydt geborene Levy (1892–1975) mit seiner Schwester Liese Heydt (1921–1988).

Vor ihrer Flucht hatte Bertha Heydt ihre gesamte Wohnungsausstattung einer Kölner Speditionsfirma zum Transport in das britische Mandatsgebiet Palästina übergeben, einschließlich des Kaffeeservice und vieler anderer vertrauter Möbelstücke und Haushaltsgegenstände der Familie. Während das Familiensilber und andere Wertsachen vor dem Abtransport von Mitarbeitern der Speditionsfirma aus dem bereitstehenden Container geraubt worden waren, erreichte das Rosenthal-Kaffeeservice mit dem restlichen Transportgut unbeschadet das Ziel.

Auf diesem Weg gingen die Überbleibsel des Kölner Familienbesitzes in Bertha Heydts neue Wohnung in Jerusalem und später teilweise auch in die Wohnungen ihrer Kinder und Kindeskinder ein. Ihr Enkel David Heyd übernahm neben dem Kaffeeservice auch Sektgläser, eine Stehlampe, einen Schreibtisch und einen Schrank. Die Tassen, Gläser und Möbel überbrücken symbolisch die schmerzlichen Brüche, die durch die NS-Verfolgung und die Schoa in der Familienbiografie verursacht wurden. Durch die bewusste Verwendung solcher Gegenstände bewahrt die Familie Heyd bis heute die Erinnerung an ihre deutsch-jüdische Vergangenheit, auch wenn sie sich längst als israelische Familie begreift.

Die abgebildete Kaffeetasse ist eine Quelle der materiellen Kultur. Sie steht stellvertretend für viele andere Haushaltsgegenstände, die zum Alltag jüdischer Familien in Deutschland gehörten. Umfangreiche Inventare, die vollständige Wohnungsausstattungen bis ins Detail auflisteten, finden sich in vielen Akten aus Entschädigungsverfahren der Nachkriegszeit. Solche Listen geben Einblicke in die Wohn- und Alltagskultur deutsch-jüdischer Familien vor der Schoa. In vielen Fällen mussten die aufgelisteten Wohnungsausstattungen zurückgelassen werden oder sie wurden geraubt und gingen unwiederbringlich verloren. In anderen Fällen – wie bei Bertha Heydt – konnten die Geflüchteten die Gegenstände retten.

Vertraute Objekte wie das Rosenthal-Kaffeeservice begleiteten ihre Besitzer:innen, als sie in neuen, zunächst fremden Umgebungen ankamen. Die Gegenstände erfüllten dort praktische Zwecke und waren zugleich mit Bedeutungen, Erinnerungen und Emotionen aufgeladen. Die Historisierung solcher Objekte schärft den Blick für die Zusammenhänge zwischen materieller Kultur, Migrationsgeschichte und Erinnerungskultur der deutsch-jüdischen Diaspora.

  • Felix Römer

Die Kölner Familie Heydt vor und während des Nationalsozialismus


Das Rosenthal-Kaffeeservice passte zum gehobenen Lebensstandard, den die Familie Heydt in ihrer früheren Heimat Köln gepflegt hatte. Die Familie war bereits seit Jahrhunderten im Rheinland ansässig und längst etabliert, als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gelangten. Zusammen mit der verwandten Familie Voss, die ebenfalls jüdisch war und zum Wirtschaftsbürgertum in Köln zählte, besaßen die Heydts eine erfolgreiche Fabrik für Schuhcreme und Bohnerwachs in Köln-Nippes. Für die Familie Heydt leitete Bertha Heydt das gemeinsame Unternehmen seit Mitte der 1920er Jahre mit großer Effizienz, nachdem ihr Ehemann Max Heydt (1882–1926) an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung gestorben war. Standesgemäß lebte sie mit ihren Kindern Hans und Liese Heydt in einer großzügigen gründerzeitlichen Hochparterre-Wohnung im Kölner Agnesviertel. Als Bedienstete verfügte die Familie über einen eigenen Koch und einen Chauffeur.

Die Heydts orientierten sich in Köln an bildungsbürgerlichen, liberalen und säkularen Werten und waren – wie die meisten jüdischen Familien – tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt. Zuhause sprach man Deutsch, die Kinder besuchten städtische Schulen und viele Männer der Familie hatten wie Max Heydt als Soldaten am Ersten Weltkrieg teilgenommen, mehrere von ihnen sogar als ,Frontkämpfer‘. Zugleich pflegten die Heydts ihre jüdische Identität. Alle Mitglieder der erweiterten Familie, die noch in Deutschland eine Ehe eingingen, heirateten jüdische Partner:innen. Der enge Familienzusammenhalt zeigte sich außerdem daran, dass mehrere Generationen der Familien Heydt und Voss im Kölner Agnesviertel in einem kleinen Umkreis nur wenige Gehminuten voneinander entfernt wohnten.

Die einsetzenden Verfolgungen durch die Nationalsozialisten rissen die Heydts aus ihrem vertrauten Umfeld heraus. Bertha Heydts Sohn Hans, der nach dem Sommersemester 1933 sein Studium an der Universität Köln abbrechen musste, kehrte als einer der Ersten Deutschland den Rücken. Im Februar 1934 emigrierte er in das britische Mandatsgebiet Palästina, auch wegen seiner Nähe zum Zionismus, dessen Anhänger:innen dort für eine ,jüdische Heimstätte‘ eintraten. Bertha Heydt blieb zunächst in Köln zurück und betrieb das Familienunternehmen weiter, bis sie die Fabrik unter dem wachsenden Druck der ,Arisierungen‘ im Sommer 1938 weit unter Wert verkaufen musste. Im selben Jahr kehrte ihr Sohn mit einem britischen Mandatspass ein letztes Mal in seine Geburtsstadt zurück und nutzte den Aufenthalt wohl auch dazu, seine Mutter und Schwester zur Ausreise zu drängen. Während desselben Aufenthalts besuchte er ein Kölner Fotostudio und ließ dort ein letztes Portraitfoto von sich in Deutschland aufnehmen.

Abb. 1: Hans Heydt (später: Uriel Heyd) bei seinem letzten Aufenthalt in Köln, 1938; Privatarchiv David Heyd.

Im Dezember 1938, nur wenige Wochen nach den Novemberpogromen, emigrierten Bertha und Liese Heydt schließlich nach Palästina. Andere Verwandte konnten sich nach Südafrika, Großbritannien oder in die USA retten. Mehreren Familienmitgliedern gelang die Flucht jedoch nicht mehr; sie wurden in Auschwitz und anderen nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet.

Manche Geflüchtete erlagen sogar noch im Exil den Spätfolgen der Verfolgungen. Zu ihnen gehörte Hans Heydts Cousine Anneliese Heydt (1925–1967), die im August 1939 als Vierzehnjährige mit einem der letzten ,Kindertransporte‘ mittellos nach England gelangte. Anders als ihre Eltern, die den nationalsozialistischen Verfolgungen zum Opfer fielen, fand sie dort mit rund 10.000 anderen jüdischen Kindern und Jugendlichen Zuflucht. Allerdings erlitt Anneliese Heydt an ihrem neuen Wohnort in London immer wieder Zusammenbrüche und musste sich in psychiatrische Behandlung und stationäre Aufenthalte begeben. Mehrere ärztliche Gutachten diagnostizierten eine Depression und führten sie auf die Auswirkungen der Verfolgungen zurück. Das offenkundige Trauma führte zu schweren psychischen und physischen Beeinträchtigungen und wohl auch zu ihrem frühzeitigen Tod im Alter von nur 42 Jahren.

Flucht und Ankommen


Das Ankommen in fremden Umgebungen stellte die Geflüchteten vor vielfältige Herausforderungen. Besonders schwer hatten es diejenigen, die traumatische Erfahrungen durchlebt hatten wie Anneliese Heydt. Ansonsten gab das soziale, kulturelle und ökonomische Kapital der Betroffenen den Ausschlag für ihren weiteren Lebensweg. So gelang es dem hochtalentierten Hans Heydt, den seine wohlhabende Mutter mit ausreichenden Mitteln ausgestattet hatte, sehr schnell, sein Hebräisch zu perfektionieren, nachdem er schon als Jugendlicher mit dem Erlernen der Sprache begonnen hatte. Hierbei half ihm auch die Nähe zu seinem Onkel Kurt Levy (1907–1935), einem herausragenden Nachwuchs-Linguisten und Hebräisch-Experten an der Universität Bonn, den die NS-Verfolgung in den Selbstmord trieb. Während sich die meisten deutschen Jüdinnen und Juden mit dem Erlernen dieser Sprache schwertaten, konnte Heydt schon im akademischen Jahr 1934/35 ein neues Studium an der Hebrew University in Jerusalem aufnehmen.

Obwohl seine Mutter Bertha Heydt der Verfolgung in NS-Deutschland wesentlich länger ausgesetzt blieb und nach ihrer Flucht weiterhin unter dem Eindruck der schockierenden Erlebnisse stand, fand auch sie sich relativ schnell zurecht. Dies zeigt ein Brief, den sie im Februar 1939 kurz nach ihrer Ankunft in Palästina an einen Adressaten in Köln schrieb. Darin erwähnte Bertha Heydt zunächst einen „plötzlichen Trauerfall“ in ihrer Familie, der sie „sehr in Anspruch genommen“ habe – ihr Schwager sei kurz vor ihrer Ausreise „ganz unerwartet im Konzentrationslager gestorben“. Ansonsten klangen ihre Schilderungen über das „sehr interessante Leben und Treiben“ in Palästina positiv: „Ich habe mich inzwischen hier ein wenig erholt von den vielen Erregungen und Erschütterungen der letzten Monate und beginne allmählich, Fuß zu fassen in diesem eigenartigen und schönen Lande, das hoffentlich eine glücklichere Heimstätte für uns werden wird.“ Brief von Bertha Heydt an Walter Thiel, 15.2.1939; Landesarchiv NRW, Rep 266, Nr. 3981, Bl. 84.

In Palästina folgte auf die Verfolgung und Flucht zunächst ein spürbarer sozialer Abstieg. Die Nationalsozialisten hatten der Familie Heydt nach den bekannten Mustern fast das gesamte Vermögen geraubt – darunter umfangreiche Wertpapierdepots, Bankguthaben, Grundstücke und nicht zuletzt das Familienunternehmen. Statt der großzügigen Wohnung im Kölner Agnesviertel musste sich Bertha Heydt nun mit einem kleinen Zwei-Zimmer-Appartement in Jerusalem begnügen. Trotz dieser ungewohnten und schwierigen Bedingungen gelang ihr der Neuanfang. Schon bald baute sie sich eine neue berufliche Existenz auf, lernte Hebräisch und fand eine Anstellung als Regierungsbeamtin in einem Ministerium.

Zudem gelang es Bertha und Hans Heydt nach der Staatsgründung Israels 1948 und der Gründung der Bundesrepublik 1949, mehrere Entschädigungsforderungen vor bundesdeutschen ‚Wiedergutmachungsgerichten‘ durchzusetzen. Solche Entschädigungsverfahren bedeuteten für die Geschädigten häufig eine beträchtliche emotionale Belastung: Die Verfahren zogen sich vielfach jahrelang hin, so dass sich die Familien immer wieder mit deutschen Beamten auseinandersetzen mussten, die teilweise schon dem NS-Regime gedient hatten und die Prozesse nicht selten bewusst behinderten. Bis Mitte der 1950er Jahre erhielten die Heydts schließlich einen Teil ihres geraubten Vermögens zurück und konnten somit auch ihren gutbürgerlichen Status ein Stück weit wiederherstellen.

Identitäten und Erinnerungen


Aus der deutschen Unternehmer:innenfamilie Heydt wurde schließlich eine israelische Akademiker:innenfamilie. Hans Heydt gelang an der Hebrew University eine Karriere als international renommierter Historiker und Orientalist. Seine beiden Söhne Michael (1943–2014) und David Heyd wurden ebenfalls Professoren in Jerusalem, während seine Tochter Ofra Heyd (*1953) erfolgreich als Psychologin arbeitete. Ihre Tante Liese Heydt wiederum war zunächst einige Jahre als Lehrerin tätig gewesen, bevor sie einen erziehungswissenschaftlichen Studiengang absolvierte und Wissenschaftlerin an der Universität Haifa wurde. In den nachfolgenden Generationen überwogen ebenfalls akademische Berufslaufbahnen.

Abb. 2: Bertha Heydt an ihrem 70. Geburtstag zusammen mit ihrer Enkelin Ofra Heyd, 1962; Privatarchiv David Heyd.

Schon in der ersten Generation nahm die Familie Heydt eine neue, israelische Identität an. Kurz nach seiner Ankunft in Palästina änderte Hans Heydt seinen deutschen Vornamen in eine hebräische Form um und nannte sich fortan Uriel Heyd. Auch seine Schwester Liese Heydt legte ihren deutschen Vornamen ab und nannte sich ab sofort Hava. Die Hebraisierung deutscher Namen entsprach einer weit verbreiteten Praxis als Bekenntnis zum Zionismus und als Distanzierung von allem Deutschen. Ebenso beschlossen Uriel Heyd und seine Ehefrau Rose Heyd geborene Seligsohn (1913–1996), die ebenfalls deutsch-jüdischer Herkunft war, mit ihrem Nachwuchs niemals Deutsch zu sprechen, damit die in Israel verpönte Sprache der Täter:innen in ihrer Familie nicht weiterleben würde.

Die Identifikation mit dem Zionismus und später mit dem Staat Israel wurde von Uriel Heyd bewusst vorgelebt. Aus seinen zionistischen Überzeugungen folgte für ihn die Selbstverpflichtung, am Aufbau des neuen jüdischen Staates mitzuwirken. So arbeitete er in den 1940er Jahren für die Jewish Agency (JA), die Jüdinnen und Juden im Mandatsgebiet Palästina politisch vertrat, sowie als Diplomat, bevor er seine akademische Laufbahn an der Universität in Jerusalem begann. Mit seinem in die Zukunft gerichteten Blick verband sich der Wille, die Vergangenheit ruhen zu lassen, wie sich sein Sohn David Heyd erinnert. Fast nie habe sein Vater mit der Familie über die Schoa oder die Schicksale der ermordeten und vertriebenen Verwandten gesprochen. Weder Uriel Heyd noch sein ältester Sohn Michael setzten sich als Historiker später mit der Geschichte der Schoa auseinander, sondern spezialisierten sich in anderen Feldern und Epochen. Die Verbindung zu der früheren Kölner Familie hielt Uriel Heyd allerdings aufrecht. In der Nachkriegszeit stand er unter anderem mit zwei Tanten in Kontakt, die in die USA geflüchtet waren, während die Verbindungen zu anderen geflohenen Verwandten in Südafrika, den USA und Großbritannien abrissen. Das Familienarchiv mit vielen Dokumenten und Fotos bewahrte Heyd auf, doch hörte er nach seiner eigenen Emigration auf, den Familienstammbaum weiterzuschreiben, den er als junger Mann in Köln mit großem Rechercheaufwand erstellt hatte.

Im Laufe der Zeit lieferten andere Familienmitglieder und äußere Ereignisse weitere Anstöße zur Auseinandersetzung mit der deutsch-jüdischen Familiengeschichte und der Schoa. Insbesondere der Eichmann-Prozess, der von April bis Dezember 1961 in Jerusalem stattfand, regte Gespräche nicht nur in der Familie Heyd, sondern in der gesamten israelischen Gesellschaft an. Seit den 1960er und 1970er Jahren wurde die Schoa in der israelischen Öffentlichkeit, in der Politik und in den Medien immer präsenter, und die fortschreitende Entwicklung einer nationalen Gedenk- und Erinnerungskultur verstärkte auch in Familien wie den Heyds das Interesse an der eigenen Geschichte.

Die Familiengeschichte blieb schließlich auch in Form der Alltagsobjekte präsent, die aus der früheren Heimat stammten. In der Jerusalemer Wohnung von Bertha Heydt stand neben Gläsern und Geschirr aus Köln unter anderem ein Bücherregal mit deutschen Schmuckausgaben der Werke Goethes und Schillers. Wie sich David Heyd erinnert, traf sich seine Großmutter regelmäßig mit einer Schwägerin aus Köln, die ebenfalls nach Jerusalem geflohen war und hier nur rund 200 Meter entfernt lebte. Jeden Freitag zelebrierten die beiden eine wöchentliche Teestunde in eleganter Bekleidung und mit selbst gebackenem Kuchen. Beide sprachen dabei stets Deutsch, zumal die Schwägerin Hebräisch nicht beherrschte. Wenn die Teestunde bei Bertha Heydt stattfand, stand auch das Rosenthal-Service der Familie auf dem Tisch. Dort diente es als ein Verbindungsstück zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Ästhetik und Symbolik dieser Objekte wurden später auch von David Heyd und seiner Familie geschätzt. Über das Service und die anderen Erbstücke seiner Großmutter schreibt er: „Sie sind schön und wir lieben das Gefühl der Kontinuität, das sie uns vermitteln.“  „They are beautiful, and we love the sense of continuity they give us.“ (Übersetzung durch den Autor). E-Mail von David Heyd an den Autor, 26.2.2024.

Abb. 3: David Heyd bei einer akademischen Konferenz in Zagreb, 2015; Privatarchiv David Heyd.

Fazit


Die Funktionen und Bedeutungen des repräsentativen Rosenthal-Service und die mit ihm verbundenen Praktiken wandelten sich im Zeitverlauf. Vor der NS-Verfolgung und Vertreibung aus Deutschland symbolisierte es den gehobenen Status einer wohlhabenden Kölner Unternehmer:innenfamilie. Es diente ihr im Alltag zur Pflege ihrer bürgerlichen Gepflogenheiten in Form von konventionellen Praktiken wie gediegenen Tee- oder Kaffeestunden. In der deutsch-jüdischen Diaspora erhielt die Wiederaufnahme solcher bürgerlicher Rituale eine neue Bedeutung: Durch die Verwendung der Objekte ließ sich ein Teil der früheren Identität bewahren, während die Familie – wie viele andere deutsche Jüdinnen und Juden in Palästina und Israel – soziale, kulturelle und politische Transformationsprozesse durchlief.

In späteren Phasen der Erinnerungskultur kamen weitere Bedeutungsschichten hinzu. Spätestens seit David Heyd in den 2010er Jahren selbst damit begann, die Familiengeschichte zu erforschen, verbanden sich mit den Tassen nicht nur Erinnerungen an das Schicksal der Heydts während der Schoa. Zugleich stehen die Objekte für die gesamte, jahrhundertealte Familiengeschichte in Deutschland, die Heyds Vater im Zuge seiner genealogischen Recherchen anhand historischer Torawimpel und anderer Dokumente bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt hatte. Inwieweit Objekte wie das Rosenthal-Service in Zukunft an nachfolgende Generationen weitergegeben und von ihnen genutzt werden, ist eine weiterführende Frage zu intergenerationellen Erinnerungskulturen in der zweiten, dritten und vierten Generation von Überlebenden der Schoa.

Auswahlbibliografie


Katharina Hoba, Generation im Übergang. Beheimatungsprozesse deutscher Juden in Israel, Köln et al. 2017.
Marion Kaplan, „Did German Jews Remain German Jews Once They Left Their Homeland?”, in: Hasia R. Diner (Hg.), The Oxford Handbook of the Jewish Diaspora, Oxford 2021.
Dalia Ofer/Françoise S. Ouzan/Judy Tydor Baumel-Schwartz (Hg.), Holocaust Survivors: Resettlement, Memories, Identities, New York 2012.
Joachim Schlör, Endlich im Gelobten Land? Deutsche Juden unterwegs in eine neue Heimat, Berlin 2003.
Anja Siegemund (Hg.), Deutsche und zentraleuropäische Juden in Palästina und Israel. Kulturtransfers, Lebenswelten, Identitäten. Beispiele aus Haifa, Berlin 2016.

Dieses Werk unterliegt den Bedingungen der Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Unter Namensnennung gemäß der Zitationsempfehlung darf es in unveränderter Form für nicht-kommerzielle Zwecke nachgenutzt werden.

Zum Autor

Felix Römer ist Privatdozent und Heisenberg-Stipendiat am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht zur NS-Geschichte sowie zur britischen, deutschen und europäischen Geschichte nach 1945. Zu seinen Büchern zählen Der Kommissarbefehl. Wehrmacht und NS-Verbrechen an der Ostfront 1941/42 (Paderborn 2008), Kameraden. Die Wehrmacht von innen (München 2012) sowie Inequality Knowledge. The Making of the Numbers about the Gap between Rich and Poor in Contemporary Britain (Boston/Berlin 2023).

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Felix Römer, Objekte der Erinnerung: Das Rosenthal-Kaffeeservice der Familie Heyd(t), in: Geschichte(n) der deutsch-jüdischen Diaspora, 03.11.2025. <https://diaspora.juedische-geschichte-online.net/beitrag/gjd:article-45> [03.11.2025].

Dieses Werk unterliegt den Bedingungen der Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Unter Namensnennung gemäß der Zitationsempfehlung darf es in unveränderter Form für nicht-kommerzielle Zwecke nachgenutzt werden.