Die Rosenthal-Kaffeetasse auf dem Küchentisch von David Heyd in Jerusalem, 2024

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    Quellenbeschreibung

    Das Foto zeigt eine Porzellantasse der bekannten deutschen Traditionsmarke Rosenthal, die seit dem späten 19. Jahrhundert für ihre hochwertigen Porzellan-, Glas- und Keramikprodukte bekannt ist. Auf dem Bild steht die Tasse auf dem Esstisch in der Jerusalemer Wohnung von David Heyd (*1945), einem emeritierten Philosophie-Professor der Hebrew University. Heyd zählt zur zweiten Generation von Überlebenden der Schoa in Israel. Sein Vater Hans Heydt (1913–1968) war bei seiner Emigration aus NS-Deutschland im Frühjahr 1934 von seinem Heimatort Köln über Italien nach Jerusalem gelangt. Dorthin folgten ihm später auch seine Mutter Bertha Heydt geborene Levy (1892–1975) mit seiner Schwester Liese Heydt (1921–1988).

    Vor ihrer Flucht hatte Bertha Heydt ihre gesamte Wohnungsausstattung einer Kölner Speditionsfirma zum Transport in das britische Mandatsgebiet Palästina übergeben, einschließlich des Kaffeeservice und vieler anderer vertrauter Möbelstücke und Haushaltsgegenstände der Familie. Während das Familiensilber und andere Wertsachen vor dem Abtransport von Mitarbeitern der Speditionsfirma aus dem bereitstehenden Container geraubt worden waren, erreichte das Rosenthal-Kaffeeservice mit dem restlichen Transportgut unbeschadet das Ziel.

    Auf diesem Weg gingen die Überbleibsel des Kölner Familienbesitzes in Bertha Heydts neue Wohnung in Jerusalem und später teilweise auch in die Wohnungen ihrer Kinder und Kindeskinder ein. Ihr Enkel David Heyd übernahm neben dem Kaffeeservice auch Sektgläser, eine Stehlampe, einen Schreibtisch und einen Schrank. Die Tassen, Gläser und Möbel überbrücken symbolisch die schmerzlichen Brüche, die durch die NS-Verfolgung und die Schoa in der Familienbiografie verursacht wurden. Durch die bewusste Verwendung solcher Gegenstände bewahrt die Familie Heyd bis heute die Erinnerung an ihre deutsch-jüdische Vergangenheit, auch wenn sie sich längst als israelische Familie begreift.

    Die abgebildete Kaffeetasse ist eine Quelle der materiellen Kultur. Sie steht stellvertretend für viele andere Haushaltsgegenstände, die zum Alltag jüdischer Familien in Deutschland gehörten. Umfangreiche Inventare, die vollständige Wohnungsausstattungen bis ins Detail auflisteten, finden sich in vielen Akten aus Entschädigungsverfahren der Nachkriegszeit. Solche Listen geben Einblicke in die Wohn- und Alltagskultur deutsch-jüdischer Familien vor der Schoa. In vielen Fällen mussten die aufgelisteten Wohnungsausstattungen zurückgelassen werden oder sie wurden geraubt und gingen unwiederbringlich verloren. In anderen Fällen – wie bei Bertha Heydt – konnten die Geflüchteten die Gegenstände retten.

    Vertraute Objekte wie das Rosenthal-Kaffeeservice begleiteten ihre Besitzer:innen, als sie in neuen, zunächst fremden Umgebungen ankamen. Die Gegenstände erfüllten dort praktische Zwecke und waren zugleich mit Bedeutungen, Erinnerungen und Emotionen aufgeladen. Die Historisierung solcher Objekte schärft den Blick für die Zusammenhänge zwischen materieller Kultur, Migrationsgeschichte und Erinnerungskultur der deutsch-jüdischen Diaspora.

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    Empfohlene Zitation

    Die Rosenthal-Kaffeetasse auf dem Küchentisch von David Heyd in Jerusalem, 2024, veröffentlicht in: Geschichte(n) der deutsch-jüdischen Diaspora, <https://diaspora.juedische-geschichte-online.net/quelle/gjd:source-13> [04.11.2025].