Architektonisches Objekt: Die Schocken-Bibliothek als ausgelagertes Gedächtnis deutsch-jüdischer Gelehrsamkeit in Jerusalem

Ita Heinze-Greenberg

Quellenbeschreibung

Der im Jerusalemer Stadtteil Rehavia (Balfour Straße 6) in den Jahren 1935 bis 1936 errichtete Bibliotheksbau für den bibliophilen Kaufmann und Verleger Salman Schocken (1877–1959) ist ein rarer Fall: Er ist nicht nur samt Inneneinrichtung in seiner authentischen architektonischen Struktur erhalten, sondern dient bis heute – seit 1961 unter der Ägide des Jewish Theological Seminary – seiner ursprünglichen Funktion. Vom bekannten, 1934 aus Berlin eingewanderten Architekten Erich Mendelsohn (1887–1953) entworfen, war er von seinem Bauherrn als semi-öffentlicher Ort wissenschaftlicher Forschung und Begegnung konzipiert.

Für die noch rechtzeitig aus Deutschland verschiffte Büchersammlung Schockens, die circa 60.000 Bände umfasste – darunter zahlreiche Originalmanuskripte, wertvolle Judaica und Hebraica, aber auch Erstausgaben deutscher Klassiker –, schuf Mendelsohn eine Einhausung, die sich im Außenraum als ein formal zurückhaltender, aus hellem Kalkstein (Meleke) aufgemauerter zweigeschossiger Baukörper präsentiert. Im Inneren entfaltet die Bibliothek eine lichte, beinahe heitere Atmosphäre. Der große, ganz in Zitronenholz gehaltene Lesesaal im Obergeschoss wird durch einen halbrund ausschwingenden Glaserker ausgezeichnet. Der präzise katalogisierte – heute nicht mehr vollständig in Jerusalem befindliche – Bücherfundus Schockens ist in drei niedrigen Magazingeschossen im rückwärtigen Gebäudeteil untergebracht. Das schmale, langgestreckte Grundstück wird fast vollständig von dem Bibliotheksbau eingenommen und lässt nur begrenzte Streifen für eine Grünbepflanzung und Südterrasse frei. Die Schocken-Bibliothek stellt gewissermaßen die architektonische Präsenz deutsch-jüdischen ,Geistesadels’ in Israel dar und gibt bis heute Zeugnis eines deutsch-israelischen Kulturerbes.

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Abb. 1: Südostansicht des Bibliotheksgebäudes von der Balfour Straße aus, Aufnahme von Alfred Bernheim, um 1938; Israel Museum, Jerusalem.

Salman Schocken: Patron und Mäzen


Am Abend des 27. Juni 1939 versammelte sich im großen Saal der Jerusalemer Schocken-Bibliothek halb Rehavia, um einer Lesung der aus Berlin via Zürich eingewanderten Schriftstellerin Else Lasker-Schüler (1869–1945) zu lauschen. Initiiert wurde der Abend von ihrem Maler- und Architektenfreund Leopold Krakauer (1890–1954) und seiner Frau Grete Krakauer (1890–1970) mit Unterstützung durch Luise Mendelsohn (1894–1980), Gattin des Architekten Erich Mendelsohn. Der Verkauf der Eintrittskarten brachte zehn Palästinensische Pfund ein, mit denen die mittellose Dichterin ihre Lebenshaltungskosten von zwei, vielleicht drei Monaten bestreiten konnte. Der Abend verlief entgegen den Sorgen des Hausherrn Salman Schocken – die Poetin war für ausfallende Bemerkungen gegenüber unruhigen Zuhörern bekannt – erfolgreich. Else Lasker-Schüler wusste ihr Auditorium mit ihren Gedichten und der Art ihres Vortrags zu faszinieren. In der Folge nahm Schocken „die innigste Hebräerin“ (Kurt Pinthus) mit einer lebenslangen kleinen Rente in den Kreis der von ihm geförderten Schriftsteller und Schriftstellerinnen auf. Zu diesem gehörten unter anderem die beiden Philosophen Gershom Scholem (1897–1982) und Martin Buber (1878–1965), Bubers Schwiegersohn Ludwig Strauß (1892–1953) und schon sehr früh mit oberster Priorität Samuel Yosef (Shai) Agnon (1887–1970). Schocken sah in Agnon großes Potenzial, eine neue genuin hebräisch-jüdische Literatur zu schaffen. Er stattete den aus Galizien gebürtigen Schriftsteller, der lange Jahre in Berlin gelebt hatte und 1928 nach Palästina emigriert war, ab 1913 mit einem stetig ansteigenden Gehalt aus. Es sollte Agnon die Möglichkeit bieten, sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren.

Man kann nur spekulieren, wie viele seiner 24 Bände umfassenden Novellen ohne die großzügige Unterstützung Schockens nicht verfasst worden wären. 1966, sieben Jahre nach dem Tod seines Mäzens, sollte Agnon als erster hebräischsprachiger Autor mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet werden.

Der Schocken Verlag


Waren Agnons Erzählungen die wichtigste Säule der hebräischsprachigen Abteilung des 1931 in Berlin gegründeten Schocken Verlags, so war der große Dialog-Philosoph Martin Buber der bedeutendste Autor für den deutschsprachigen Sektor des Hauses. Seine zusammen mit dem Philosophen Franz Rosenzweig (1887–1929) begonnene ,Verdeutschung’ der Hebräischen Bibel bildete das Fundament des bis zu seiner Zwangsschließung im Dezember 1938 operierenden Medienunternehmens. Dieses verstand sein Buchprogramm – insbesondere nach der Machtübernahme Adolf Hitlers (1889–1945) – als intellektuelle Selbstbehauptung: Es verhalf jüdischen Autoren und Autorinnen bei fairen Honoraren zur Veröffentlichung ihrer Werke und bot gleichzeitig einem mehr und mehr von seiner Umwelt ausgestoßenen Lesepublikum zumindest für den Zeitraum der Lektüre eine spirituelle Beheimatung. Selbstdeklariertes Ziel war es, „ein Gebäude jüdischer Bildung [zu] errichten.“ Anzeige des Schocken Verlags, Berlin, in: Jüdische Rundschau, 17. April 1935, S. 9.

Der Verlag war, wie sich der kaufmännische Leiter Lambert Schneider (1900–1970) erinnerte, „das Sammelbecken aller damals noch in Deutschland geistig arbeitenden Juden.“ Zit. nach Anatol Schenker, „Der Schocken Verlag in Berlin“, in: Antje Bormann/Doreen Mölders/Sabine Wolfram (Hg.), Konsum und Gestalt. Leben und Werk von Salman Schocken und Erich Mendelsohn vor 1933 und im Exil, Berlin 2016, S. 222-234, hier S. 233. Mit der bereits 1937 erfolgten Gründung der Schocken Publishing House Ltd. in Tel Aviv wurde die Verlagstätigkeit zunächst in das Mandatsgebiet Palästina transferiert, 1945 etablierte sich Schocken Books in New York, das unter anderem die literarischen Werke des in Prag geborenen Schriftstellers Franz Kafka (1883–1924) in die amerikanischen Haushalte brachte.

Die Bibliothek als geistige Heimat


Die Schocken-Bibliothek in Jerusalem erfüllte eine ähnliche Funktion wie der Schocken Verlag in Berlin, nur mit umgekehrtem Vorzeichen: Sie wurde zur geistigen Heimat der in den 1930er Jahren aus Europa eingewanderten deutschsprachigen jüdischen Intelligenz. Es war nachgerade die deutsche Sprache – in Israel auch viele Jahre später noch als Diktion der Täter verpönt –, die vielen des Hebräischen unkundigen Migranten und Migrantinnen geistiges Überleben, Schutzwall und Selbstbehauptung bedeutete. Der aus München stammende Schriftsteller und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin (1913–1999) sprach in diesem Zusammenhang von der „unzerstörbaren Wortheimat“ Schalom Ben-Chorin, Zwischen neuen und verlorenen Orten. Beiträge zum Verhältnis von Deutschen und Juden, München 1988, S. 28.. Davor waren auch Akademiker und Akademikerinnen nicht gefeit. Ganz im Gegenteil taten sie sich oft aufgrund ihres Anspruchs auf sprachlich exakte und sensible Ausdrucksmodi schwerer mit dem Erlernen eines neuen Wortschatzes als andere Berufssparten.

Die Schocken-Bibliothek bildete eine Insel in diesem Sprachendilemma. Über Vortragsabende hinaus stand der auf drei Etagen im hinteren Teil des Gebäudes eingelagerte, zu großen Teilen in Deutsch verfasste Bücherbestand Gelehrten sowie Forschern und Forscherinnen zu Studienzwecken offen. Salman Schocken selbst hatte bereits als Jugendlicher seiner ,Bibliophilie’ gefrönt. Zunächst erwarb er günstige Reclam-Ausgaben, später, mit steigendem Einkommen, Erstausgaben und Originalmanuskripte. Eine Liste seiner Anschaffungen als 17-Jähriger umfasst unter anderem Autoren wie Spinoza, Kant, Schopenhauer, Emerson, Wilhelm von Humboldt, Montaigne, Rousseau, Aeschylus, Dostojewski und Nietzsche. Seine uneingeschränkte und lebenslange Hochschätzung galt jedoch Johann Wolfgang von Goethe (1782–1832). Auf der Website der Schocken Foundation ist die Rede von der weltweit größten Sammlung der Werke Goethes, die sich auf 2000 Bände beläuft, darunter wertvolle Manuskripte wie die Notizbücher zur Autobiografie des Dichters und handschriftliche Aufzeichnungen zu Faust II. Der Schriftsteller Thomas Mann (1875–1955) soll Schocken zu den wichtigsten Goethe-Kennern gezählt haben.

Deutsch-Jüdische Symbiose


War Salman Schockens Interesse bis zu seinem 30. Lebensjahr überwiegend auf die deutschen beziehungsweise europäischen Klassiker fokussiert, so änderte sich dies nach seiner Lektüre von Martin Bubers Die Geschichten des Rabbi Nachman (1906). Sie eröffneten ihm den Zugang zur osteuropäischen Welt jüdisch-religiöser Tradition und ihrer mit Humor und Ironie durchzogenen Mystik. Ab 1907 begann Schocken hebräische Bücher – insbesondere Erstausgaben, seltene Drucke und Inkunabeln – zu sammeln, anhand derer er in die jüdische Geschichte eintauchen und den Migrationspfaden des Judentums folgen konnte. Wenngleich einer strengen bibliothekarischen Disziplin unterworfen, orientierte sich der Bestand der Bibliothek weniger an objektiven, wissenschaftlichen Kriterien, sondern spiegelte die persönlichen Interessen Schockens. Diese zielten auf den „Aufbau einer neuen jüdischen Kultur“, die „aus der Verknüpfung religiöser jüdischer Tradition mit europäischer Kultur, und hier besonders der deutschen, bestehen sollte.“ Ariel Hirschfeld, „Schocken und Agnon – Münz und Masal“, in: Saskia Schreuder/Claude Weber, Der Schocken Verlag, Berlin. Jüdische Selbstbehauptung in Deutschland 1931–1938, Berlin 1994, S. 191-201, hier S. 193.

Für die auf viele deutsche Juden und Jüdinnen zutreffende doppelte Verwurzelung in zwei Kulturkreisen sollte der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940) den Begriff des ,Zweigeistes’ prägen. Schocken wollte in seiner Bibliothek beide Empfindungskreise symbiotisch zusammenführen. Als er – gerade noch rechtzeitig – Mitte der 1930er Jahre seine 60.000 Bände umfassende Büchersammlung von ihrem früheren Standort in einer Berliner Villa nach Jerusalem verschiffte, war dieses Bestreben obsolet geworden. Schocken hoffte jedoch, so der israelische Schriftsteller Amos Elon (1926–2009), „auf seine Weise die gescheiterte deutsch-jüdische ,Symbiose’ in der jüdischen Heimstätte bewahren zu können oder ihr zumindest einen Ort der Erinnerung zu schaffen. Die Bibliothek war seine ,Autobiografie’, wie er mehrfach formuliert hat.“ Amos Elon, „Eine jüdische Heldensaga“, in: Le Monde Diplomatique, 14.1.2005, online abrufbar: https://monde-diplomatique.de/artikel/!652798 [Stand: 19.03.2025]

Ein moderner Medici


Der ,Mann des Buches’, wie Schocken von Zeitgenossen genannt wurde, kam als jüngster von insgesamt zehn Geschwistern in Margonin zur Welt, einer Kleinstadt in der damals preußischen Provinz Posen. Die bescheidenen finanziellen Familienverhältnisse ließen an eine Ausbildung, die kein unmittelbares Einkommen einbrachte, nicht denken. Um dennoch seiner frühen und lebenslangen Bücherpassion nachkommen zu können, entschied sich der junge Schocken für die Karriereleiter eines erfolgreichen Geschäftsmanns. Als solcher – so der praktische Rat eines befreundeten Rabbiners – könne er letzten Endes seinen geistigen Interessen eher nachgehen als ein hungernder Akademiker. Im Kunstmäzenatentum der sogenannten Kaufmannsprinzen der Renaissance fand Schocken sein großes Vorbild. Die Stufen, die er erklomm, um ein moderner Medici zu werden, waren jedoch steil: Schocken begann als einfacher Textilverkäufer und endete als Kaufhaus-Magnat. Sein erstes Warenhaus eröffnete er 1904 zusammen mit seinem früh verstorbenen Bruder Simon Schocken (1874–1929) in einer ostdeutschen Kleinstadt. Als Hitler an die Macht kam, besaß Schocken die größte private Kaufhauskette in Deutschland mit 14 Filialen, in denen insgesamt 6000 Angestellte arbeiteten. Sein Erfolgsrezept bildeten Effizienz und Qualität.

Salman Schocken und Erich Mendelsohn


Mit sicherem Auge und untrüglichem Werturteil wählte Schocken mit Erich Mendelsohn einen der führenden Avantgarde-Architekten in Deutschland als Baumeister für drei seiner wichtigsten Geschäftsneubauten in Nürnberg, Stuttgart und Chemnitz. Mendelsohn hatte sich mit seinem expressionistischen Debut, dem sogenannten Einsteinturm in Potsdam (1920), in den Architekturhimmel der Weimarer Republik katapultiert. Seine nachfolgenden Projekte waren zugunsten zweckdienlicher Effizienz weniger affektiv und dennoch ausgesprochen wirkmächtig. Mitte der 1920er Jahre gehörte sein Berliner Architekturbüro zu den größten und erfolgreichsten in Deutschland.

Das rationelle Marketingkonzept Schockens und die funktionelle Ästhetik Mendelsohns – beide revolutionär auf ihrem Gebiet – gingen dabei Hand in Hand. Sie produzierten Prototypen des modernen Qualitätsmanagements und der kommerziellen Architektur, die deutschlandweit – wenn nicht sogar weltweit – Meilensteine setzten. Schocken war im Übrigen keineswegs ein Bauherr, der seinem Architekten freie Hand ließ. Er verstand seine Rolle als Mitkämpfer für den neuen architektonischen Ausdruck Seite an Seite mit dem Baumeister: „Ich bin eine ordnende Kraft, so Schocken einmal selbstbewusst, „und meine Kunst ist in Wahrheit die Architektur, obwohl ich noch nicht baue.“ Kurt Blumenfeld, Erlebte Judenfrage. Ein Vierteljahrhundert deutscher Zionismus, Stuttgart 1962, S. 93.

1934 trafen sich Schocken und Mendelsohn in Jerusalem wieder, wo sie einige Jahre lebten, bevor sie beide Anfang der 1940er Jahre in die USA weiterwanderten. Als Schocken kurz nach seiner Ankunft in Palästina ein Wohnhaus für sich und seine Familie und ein neues Zuhause für seine Bibliothek in Jerusalem plante, lag es nahe, Mendelsohn mit beiden Projekten zu beauftragen. Die Baugrundstücke in Rehavia, die Schocken erworben hatte, lagen keine 100 Meter Luftlinie voneinander entfernt und nur wenige Gehminuten von Mendelsohns Wohnung und Büro in einer alten arabischen Windmühle. Das Viertel wurde in der ersten Hälfte der 1920er Jahre von Mendelsohns früherem Studienkollegen Richard Kauffmann (1887–1958) und seiner Mitarbeiterin, der Architektin Lotte Cohn (1893–1983), als Gartenvorort geplant und zunächst nur langsam bebaut. Durch die Ansiedlung einer vornehmlich wohlhabenden, neu eingewanderten Klientel aus Deutschland entwickelte sich Rehavia in den 1930er Jahren rasch zu einem prosperierenden Villenviertel, das aufgrund von Kleidung, Sprache und Habitus seiner Einwohnerschaft als „preussische Insel im Meer des Orients“ (David Kroyanker) wahrgenommen wurde. Unter den stattlichen Häusern des Quartiers stach die Schocken Residenz mit ihren 800 Quadratmetern Wohnfläche auf drei Etagen und ihrer ausladenden Gartenfläche als eines der größten und eindrucksvollsten hervor.

Wege jüdischer Kultur


Durch die Verwendung gleich bearbeiteten Jerusalemer Kalksteins stellte Erich Mendelsohn eine ästhetische Verbindung zwischen den beiden Bauten für Salman Schocken her. Die Bibliothek – auf engem schmalem Grundstück – ist ein in sich ruhender Bau, unspektakulär, dezent und distanziert, unauffällig für den eiligen Passanten. Eine Ausnahme bildet ein rund ausschwingender Glaserker an der Südseite, der die geschlossene Wandfläche aufbricht. Er mutet wie eine Signatur Mendelsohns an mit Referenz an das ,Stuttgarter Schocken’ und signalisiert geradezu exemplarisch den deutsch-jüdischen Kulturtransfer. Über den Dialog der kontrastierenden Materialien – lokaler Bruchstein und modernes Glas – transportiert Mendelsohn seine Idee der Ost-West-Synthese.

Dem Lesesaal im zweiten Stock schenkte der Architekt einen gebündelten, Rembrandtschen Lichtstrahl, der sich, dem Lauf der Sonne folgend, über Tische, Stühle und Regale bewegt und dem Raum eine mystische Zeitdimension verleiht. Dieses Momentum korrespondiert mit Schockens Verständnis von seiner Bibliothek als lebendiger Zeitgeschichte. Die Bedeutung von Büchern ging für ihn weit über deren Inhalt hinaus. Jedes einzelne Buch vermochte die Atmosphäre von unterschiedlichen Topografien zu vermitteln, erzählte von Wanderungen von Land zu Land, von Hand zu Hand. Randnotizen gaben Zeugnis von Interpretatoren, Ausstreichungen von Zensoren.

Abb. 2: Großer Lese- und Vortragsraum im Obergeschoss der Schocken-Bibliothek, Aufnahme von Alfred Bernheim, um 1938; Israel Museum, Jerusalem.

Fazit


Rehavias Straßen und Wege tragen die Namen berühmter jüdischer Gelehrter des Mittelalters: Ramban, Ben Maimon, Alcharisi, Yehuda Ha-Levi, Abraham ibn Esra, Saadia Gaon, Rashba, Abarbanel oder Schlomo ben Gavriol. In den 1930er Jahren siedelte hier mit Gershom Scholem, Ernst Simon (1899–1988), Ludwig Strauß, Hugo Bergmann (1883–1975) und vielen mehr eine neue Generation von Dichtern und Denkern. Sie brachten ihre umfangreichen privaten Büchersammlungen mit und verwandelten den Vorort der Heiligen Stadt gewissermaßen in eine einzige große Bibliothek, deren größten und bedeutendsten Raum die Bücherei Schockens einnahm. Mit überwiegend deutschsprachigen Werken bestückt, verkörperten die literarischen Bestände in Rehavia gleichsam das ausgelagerte Gedächtnis deutsch-jüdischer Gelehrsamkeit. Nirgends sonst auf der Welt dürfte eine derartige Ansammlung von Goethe- und Heine-Erstausgaben per Quadratmeter zu finden gewesen sein.

Auswahlbibliografie


Antje Borrmann/Doreen Mölders/Sabine Wolfram (Hg.), Konsum und Gestalt. Leben und Werk von Salman Schocken und Erich Mendelsohn vor 1933 und im Exil, Berlin 2016.
Anthony David, The Patron. A Life of Salman Schocken  1877–1959, New York 2003.
Stefanie Mahrer, Salman Schocken. Topographien eines Lebens, Berlin 2021.
Louise Mendelsohn, My Life in a Changing World, San Francisco o.J. (unveröffentlichte Autobiografie, Erich Mendelsohn Archiv, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin).
Saskia Schreuder/Claude Weber, Der Schocken Verlag, Berlin. Jüdische Selbstbehauptung in Deutschland 1931–1938, Berlin 1994.
Regina Stephan (Hg.), Erich Mendelsohn. Gebaute Welten. Architekt 1887–1953. Arbeiten für Europa, Palästina und Amerika, Ostfildern-Ruit 1998.

Weiterführende Inhalte


Salman Schocken – Ein deutsches Leben. Unternehmer, Intellektueller, Büchermensch, Verleger, Mäzen, Ästhet. Ein Film von Noemi Schory, 2021.
Schocken - Ein deutsches Leben (2021) | Film, Trailer, Kritik

EMA – Virtuelles Erich Mendelsohn Archiv – Der Briefwechsel von Erich und Luise Mendelsohn 1910–1953: Staatliche Museen zu Berlin: Home

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Zur Autorin

Prof. Dr. Ita Heinze-Greenberg ist Architekturhistorikerin und emeritierte Professorin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, wo sie bis 2019 dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur angehörte. Sie promovierte mit einer Arbeit über Erich Mendelsohns Bauten im Mandatsgebiet Palästina. Anschließend forschte und lehrte sie an verschiedenen Institutionen, u.a. an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung am Technion in Haifa (1984–1998), an der Bezalel Academy in Jerusalem (1993) und an der Technischen Universität München (2008–2012). Ihre zahlreichen Veröffentlichungen konzentrieren sich auf die Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Nationenbildung, Identitätskonstruktion, Migrationsforschung sowie auf das Werk von Erich Mendelsohn. Ihr jüngstes Buch erschien 2023 unter dem Titel: Zuflucht im Gelobten Land. Deutsch-jüdische Künstler, Architekten und Schriftsteller in Palästina/Israel.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Ita Heinze-Greenberg, Architektonisches Objekt: Die Schocken-Bibliothek als ausgelagertes Gedächtnis deutsch-jüdischer Gelehrsamkeit in Jerusalem, in: Geschichte[n] der deutsch-jüdischen Diaspora, 08.05.2025. <https://diaspora.juedische-geschichte-online.net/beitrag/gjd:article-6> [09.05.2025].

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